Lebenswerk Consulting Group bei n-TV als Experte zitiert: Frachter verlieren 3000 Container in 80 Tagen

Welche Handlungsoptionen haben nun Spediteure und Verlader?

Wie kann die Situation insgesamt verbessert werden?

Reedereien freuen sich über den Bestellboom im zweiten Lockdown. Ihre Containergeschäfte brummen. Die Schiffe aus Asien sind randvoll, Boxen in China Mangelware, was die Preise treibt. Dass sich Havarien häufen, sind da schlechte Nachrichten. Gibt es einen Zusammenhang?

Die Lieferkette von Asien nach Europa oder in die USA bleibt angespannt: Für die hohe Nachfrage nach Konsumgütern aus China gibt es zu wenige Frachtschiffe und Container. Im ersten Pandemiehalbjahr 2020 hatte zunächst absolute Flaute geherrscht, im zweiten Lockdown brummen die Geschäfte der Reedereien nun. Die Folge: Es gibt weltweit einen Warenstau, die Häfen sind überfüllt. Vor allem wer in China einkauft, muss sich auf lange Wartezeiten einrichten. Alles was schwimmen kann, ist auf dem Wasser, berichten Insider. Angesichts der hohen Nachfrage sind die Frachtpreise teils um das Zehnfache gestiegen, wie Unternehmer ntv.de bestätigen. Die Schiffe sind so voll, dass bei schwerem Seegang offenbar auch mehr Container über Bord gehen.

Wenn sie plötzlich zu Hunderten im Ozean treiben, wie kürzlich im Pazifik vor Japan gesichtet, ist das nicht nur gefährlich für die Seeschifffahrt. Es stellt sich auch die Frage, wie es dazu kommen kann. Umso mehr, wenn die Lage so angespannt ist, und sich solche zudem Vorfälle häufen, wie es zuletzt der Fall war. In den vergangenen Monaten wurden nach offiziellen Angaben allein sechs Unfälle dieser Art gemeldet. Mehr als 3000 Container gingen verloren. Die Dunkelziffer havarierter Containerschiffe gilt als hoch.

Der schwerste Vorfall ereignete sich im November auf dem japanischen Frachter One Apus, als bei 16 Meter hohem Wellengang 1800 Container ins Meer stürzten. Mitte Januar büßte die Maersk Essen bei ebenfalls schwerer See 750 von ihren 13.000 Containern an Bord ein. Ihr Schwesterschiff Eindhoven vor zwei Wochen noch einmal 260. Beide Schiffe der Maersk-Reederei befanden sich voll beladen auf der Fahrt von Xiamen in China nach Los Angeles. Den Schaden, den aus der Verankerung gerissene Kisten auf den Schiffen anrichten, zeigen Videos von der One Apus und der Maersk Essen. Die Essen musste nach dem Unglück in Mexiko Zwischenstopp machen.

Hochbetrieb auf den Weltmeeren

Die Besatzungen blieben unverletzt. Trotzdem bereiten die Vorfälle der Schifffahrt Sorgen. Auch Analysten und Versicherer sind hellhörig geworden. Dass die Frachter bei schlechten Wetterbedingungen Ladung verlieren, passiert immer wieder. Doch in diesem Winter sind die Verluste deutlich höher als üblich. Laut der in Washington ansässigen Handelsfirma World Shipping Council meldeten die rund 5500 Frachtschiffe, die über die Weltmeere fahren, zwischen 2008 und 2019 im Schnitt 1320 über Bord gegangene Container pro Jahr. Das ist weniger als die Hälfte.

Handelt es sich um „unglückliche Einzelfälle“ oder steckt ein strukturelles Problem dahinter, fragt Containeranalyst Lars Jensen von der in Dänemark ansässigen SeaIntelligence Consulting offen. Er selbst schließt einen Zusammenhang nicht aus: „Je höher man die Boxen an Deck stapelt, desto größer sind die Kräfte, denen sie ausgesetzt sind, wenn sich das Schiff in den Wellen bewegt. Das könnte ein Faktor sein, zumal der jüngste Nachfrageboom dazu geführt hat, dass alle Schiffe bis zum Anschlag beladen sind“, zitiert das „Wall Street Journal“ Jensen.

Hapag-Lloyd 118,60
Hapag-Lloyd 118,60

Der Bestellboom nach der Kauf-Flaute im ersten Lockdown beschert den Reedereien eine unerwartete Sonderkonjunktur. Weil Schiffs- und Containerkapazitäten für die Waren fehlen, entstehen Lieferengpässe. Bei manchen Gütern wie beispielsweise Fahrrädern, Sportgeräten, Möbeln oder Fernsehgeräten gibt es für Konsumenten teils Wartezeiten von drei bis vier Monaten, wie Nils Haupt von Hapag-Lloyd ntv.de erklärt. Alle Schiffe der Reederei seien im Einsatz, in und vor den Häfen herrsche Hochbetrieb. „Vor dem Hafen von Los Angeles/Long Beach beispielsweise warten derzeit rund 40 Schiffe, die wegen Überlastung des Hafens nicht anlegen können“, so Haupt.

Weil es derzeit auch nicht genügend Leercontainer gebe, habe der Rücktransport von leeren Containern aus Europa oder USA nach Fernost nun Priorität, sagt Haupt weiter. Auf einigen Routen müssten „jetzt zuweilen sogar volle Container in USA oder Europa stehen gelassen werden“. Wann sich die Situation entspannt, vermag er nicht zu sagen, denn viele Bestellungen kämen kurzfristig. Bis Ende des ersten Quartals seien die Auftragsbücher prall gefüllt: „Wir können unseren Kunden im Moment auf vielen Verkehrsgebieten kurzfristig keine freien Kapazitäten auf unseren Schiffen anbieten.“

150 Millionen Container pro Jahr

Ist der Frachtverkehr über die Weltmeere deshalb unsicherer geworden? Zu den Verspätungen hätten in den vergangenen Monaten auch außergewöhnliche Wetterverhältnisse beigetragen, fährt Haupt fort. Schwere Stürme hätten zudem für erhebliche Zwischenfälle gesorgt. An den Schiffen und ihren Containerladungen, die zum Teil bis zu 10 Containerlagen hoch übereinandergestapelt werden, würden bei solchen Wettersituationen extreme Kräfte auf Schiff und Containeraufbauten wirken, erklärt er.

 

In Fachkreisen ist das Phänomen als „parametrisches Rollen“ bekannt. Es bereitet Containerschiffen dann Probleme, wenn Wellen nicht frontal von vorne, sondern schräg von der Seite treffen. Sie geraten ins Rollen. So oder so ist es für Haupt allerdings ein marginales Problem: „Wenn 3000 von insgesamt 150 Millionen Containern, die pro Jahr transportiert werden, verloren gehen, ist das prozentual verschwindend gering und bei Extremwetter leider kaum zu vermeiden.“ Versäumnisse oder Fehler bei der Beladung und dem Verstauen der Container auf den Schiffen, sieht er nicht. Die Anzahl der Container und das Gewicht auf den Stahlriesen ist normiert. Stauplaner sowie eine zusätzliche Software sortierten die Containerboxen so, dass Sicherheit gegeben sei. Außerdem würden die Boxen untereinander verriegelt, durch Laschstangen verzurrt und diese dann wieder mit der Schiffsstruktur verbunden.

Maersk kündigte nach der Havarie der Essen „eine detaillierte Frachtbewertung“ an: „Die US-Küstenwache, der Flaggenstaat und die zuständigen Behörden wurden benachrichtigt. Wir sehen dies als eine sehr ernste Situation an, die umgehend und gründlich untersucht wird.“ Maersk hat ihren Sitz in Kopenhagen, der Frachter fuhr unter dänischer Flagge.

Experte: Künstliche Intelligenz sollte Abläufe verbessern

Dass die Logistik in der Frachtschiffahrt verbesserungswürdig ist, darin sind sich alle einig. Er sei sich bewusst, „dass die Kunden durch Störungen und hohe Spotfrachtraten besorgt“ seien, sagte Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen kürzlich vor Journalisten. Er werde versuchen, diese Bedenken „durch mehr Transparenz“ bei den Vertragstarifen auszuräumen. „Es liegt in unserem Interesse, dass jeder weiterhin so viele Waren wie möglich per Container zu wettbewerbsfähigen Kosten befördert.“

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Alexander Nowroth von Lebenswerk Consulting berät Unternehmen bei der Senkung von Seefrachtkosten und Sicherung von Kapazitäten durch logistische Lösungen: Er sieht Optimierungsbedarf bei der Kommunikation zwischen Seehäfen und Reedereien und plädiert für mehr KI bei der Abfertigung von Schiffen. Damit könnte man zum Beispiel dafür sorgen, dass übervolle Häfen erst angesteuert werden, wenn Ladung auch zeitnah gelöscht werden kann. Dass sich die Lage entspanne, hänge vor allem von zwei Faktoren ab: „Die Reeder müssen alle Kapazitäten nutzen, und zwar auch dann, wenn die Nachfrage abkühlt, damit nicht wieder ein Jo-Jo-Effekt bei den Frachtraten eintritt. In der Vergangenheit wurden Abfahrten durch ‚blank sailings‘ oft vorschnell gestrichen“, sagt der ehemalige Maersk-Mann. Das habe die Kosten gesenkt, aber die Flexibilität stark eingeschränkt. „Zweitens müssen Reedereien Unzuverlässigkeit im eigenen Flottenverband stärker unter Strafe stellen“, so Nowroth weiter. Die Schuld dürfte nicht allein den Häfen gegeben werden.

Dass die Containerschifffahrt und ihre Versicherer derzeit die Unfallhäufigkeit untersuchen, um festzustellen, ob es einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen gibt, kann die Freude der Reeder über den unerwarteten Boom erstmal nicht trüben. Hapag-Lloyd erwartet fürs erste Quartal einen Rekordgewinn von 1,25 Milliarden Euro – neunmal mehr als im Vergleichsquartal 2020.

Quelle: ntv.de

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