Bewusstseins-Ökonomie: der nächste Hype oder eine Veränderung, die Unternehmen für Ihre Herausforderungen nutzen sollten?

Am Beginn eines Veränderungsprozesses versucht man zuallererst sich sprachlich vom Status-Quo abzusetzen und dem ‚Neuen‘ eigene Worte zu geben. ‚Bewusstseins-Ökonomie‘, ist so ein Begriff, oder auch ‚Verantwortungskapital‘. Man erweitert stehende Ausdrücke um eine neue Qualität, die dieser in Zukunft hinzufügt werden soll. Lässt man sich die Neologismen allerdings auf der Zunge zergehen, dann wird einem die Schizophrenie der bisherigen Interpretationen bewusst.

Gemeinwohl ist zur Fußnote verkommen

Kapital – oder besser dessen Verwendung – steht schon immer in einer vollumfänglichen, nicht delegierbaren Verantwortung auch für das Gemeinwohl. Dass man das neuerdings so hervorheben will, führt uns vor Augen, dass Kapital nach heutiger Sichtweise im Grunde als ‚verantwortungsfrei‘ gesehen wird, nach dem Motto, „was ich mit meinem Geld mache geht keinen was an!“ Dass bereits im Grundgesetz, Artikel 14 verankert ist: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“, ist zu einer Fußnote verkommen.

In diesem Sinne ist auch ‚Bewusstseins-Ökonomie‘ ein Fingerzeig dafür, welche Gesinnung unserer aktuellen Ökonomie zu Grunde liegt – oder besser welche ihr irgendwann abhandengekommen ist. Systeme oder Ideologien sind ja nicht einfach von sich aus da, sondern entstehen erst durch das gesammelte Bewusstsein ihrer Akteure – der Ideologien, politischen Agenden, Unternehmen und Menschen darin. Nicht erst die Klimakrise oder die Corona-Pandemie führen uns jedoch unmissverständlich vor Augen, wie weit wir den Bogen mittlerweile überspannt haben und ein ‚weiter so‘ keine Option mehr ist.

Corona hat uns bewusst gemacht, was für uns als Menschen eigentlich das Wichtigste ist – mehr noch als Wohlstand

Corona hat uns der einen, und im Grunde nur der einen Sache beraubt, die uns als Menschen ausmachen und unersetzlich ist. Die der sozialen Interaktion mit anderen Menschen. Das Virus beeinflusst nicht unseren natürlichen Lebensraum, wir können weiterhin miteinander kommunizieren, einer Tätigkeit nachgehen, uns als (isoliertes) Individuum im Grunde noch frei bewegen – aber wir können nur noch bedingt in einen direkten persönlichen, emotional erfahrbaren Austausch mit anderen Menschen als mit denen in unserem unmittelbaren Umfeld treten. Denn nur über diese soziale Interaktion können wir unsere Gemeinschaft als Lebensraum sinnvoll, Wirtschaft als Leistungsaustausch erfolgreich gestalten, als Individuum wachsen und dem Leben die ihm innewohnende Bedeutung geben!

Insofern sollte man die Debatte um eine ‚Bewusstseins-Ökonomie‘ als einen Weckruf sehen, genau diesen Wert in das Zentrum zu stellen, unserem wirtschaftlichen Handeln wieder intensiver mit den menschlichen Werten zu verknüpfen. In den Social Development Goals der UN wurden die Problemfelder, die wir selbst geschaffen bzw. zugelassen haben, recht umfassend und präzise formuliert.

„Wir beschäftigen uns doch schon mit Innovation“

Unternehmen sind daher schlecht beraten, sich der Auseinandersetzung mit der Frage noch länger zu verwehren. Nicht ob, sondern wie sich Arbeitsorganisation, Führung und Geschäftsmodelle ändern müssen, um dem zunehmend Rechnung zu tragen. Einen Einstieg hatte man schon bei den Vorläufer-Themen Agilität, Resilienz oder Innovation. Bei genauerem Hinsehen sind diese Eigenschaften allerdings automatisch Kompetenzen einer ‚bewussten‘ Organisation. Eines Unternehmens, dem es gelingt, ein klar umrissenes Werte-Bewusstsein im o.g. Sinne als Gemeinschaft von Menschen zu etablieren, welches sich in den Arbeitsprozessen, der Kommunikation nach Innen wie nach Außen, in der Führungskultur und nicht zuletzt in dem Geschäftsmodell wiederfindet.

Mancher wird erwidern: „in unserem Unternehmen haben wir bereits Werte definiert“. Und in der Tat findet man solche in den Compliance-Richtlinien, der Unternehmenskultur oder auf den Webseiten wieder. Aber verstehen alle Ihrer Mitarbeiter das Gleiche darunter wie Sie als Entscheider? Werden diese wirklich von allen in gleich Weise interpretiert, gelebt und im täglichen Handeln bei Entscheidungen bewusst reflektiert? Bildet Ihre Prozess- und Arbeitsgestaltung diese Werte ab oder redet man von Verantwortung, Vertrauen oder Offenheit, hat aber für alles dezidierte Richtlinien, Stellenbeschreibungen und interne Kontrollinstanzen, die eine ganz andere Haltung vermitteln? Prägen Abteilungsdenken, Misstrauen und Kompetenzgerangel in der Kommunikation wie in der tatsächlichen Zusammenarbeit den Alltag? Tragen ihr Geschäftsmodell, ihre Lieferketten oder ihre Finanzpolitik diesen Werten auch angemessen Rechnung?

Uns ist bewusst, dass dies weder trivial ist noch mal so eben umgesetzt werden kann. Aber der gesellschaftliche Veränderungsprozess ist am Laufen. Wenn es Unternehmen gelingt, ihr  ‚Bewusstsein‘ klar herauszuarbeiten, die eigenen Werte, den Sinn wie die Ziele des Wirkens auf allen Ebenen der Organisation wie in den Menschen selbst zum Leitbild des Handelns zu machen, dann erhält das Unternehmen ganz neue Möglichkeiten Zukunftsfähigkeit erfolgreich zu gestalten und sich am Markt zu positionieren.

Die Flanken eines Flügelstürmers kommen deshalb an, weil er blind weiß, wo in der jeweiligen Spielsituation sein Mitspieler in dem Moment stehen wird.

Werte-Bewusstsein führt zu äußerst stabilen Team-Dynamiken. Vergleichen Sie es mit dem Entwickeln einer Top-Fußballmannschaft: die Flanken eines Flügelstürmers kommen deshalb an, weil er blind weiß, wo in der jeweiligen Spielsituation sein Mitspieler in dem Moment stehen wird und der andere erkennt wann die Flanke gespielt wird. Sie als Coach stellen die Spielphilosophie und Strategie zur Verfügung. Greifen aber nur noch unterstützend ein wo notwendig und machen kleine Korrekturen, anstatt laufend auswechseln oder die Spieler instruieren zu müssen. Sie können so je nach Gegner (=Herausforderung) flexibel von 4-4-2 auf 4-3-3 umstellen, usw. Ihre Mannschaft ist auf dem Platz selbstorganisiert und hoch motiviert, weil jeder die Spielphilosophie, seine Position und die damit verbundene Aufgabe verinnerlicht hat.

Bewusstseinserweiterung in der Ökonomie ist insofern keine momentane Modeerscheinung, sondern ein dauerhafter Wandel, der, wenn richtig umgesetzt, Ihr Unternehmen auf eine neue Ebene bringen kann. Gerade weil es dem menschlichen Tun seinen eigentlichen Sinn (wieder)gibt und damit aktiv gestaltender Teil einer neuen Zukunft wird. Das ist mehr als nur ein kurzfristiger Wettbewerbsvorteil.

Herzlichst Ihr

Roland Schulze

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